(erstmals veröffentlicht 10.01.2015)
Werbeblöcke im Fernsehen sind eigentlich etwas Gutes. Manchmal warte ich regelrecht darauf, damit ich in Ruhe zum Klo gehen kann, ohne wichtige Teile des Films zu verpassen. Ich kann auch andere nützliche Dinge erledigen in der Zeit: schnell noch die Blumen gießen, den Hund bürsten, meine Mails checken oder nachsehen, was ich in den letzten zwanzig Minuten auf Facebook verpasst habe. So weit, so gut.
Was aber, wenn all das schon erledigt ist? Wenn ich gar nicht zur Toilette muss und auf Facebook so gar nichts passiert?
Ich könnte umschalten, aber das hilft mir aus gleich zwei Gründen nicht weiter. Erstens verpasse ich dann womöglich den wichtigen Moment, in dem der Film weitergeht, und zweitens läuft meistens auch auf allen anderen Kanälen grade die Werbung. Ist das Zufall oder stimmen die sich tatsächlich ab?
Als kleine Hilfsmaßnahme könnte ich den Ton abstellen, aber hingucken muss ich trotzdem, denn bewegte Bilder fesseln das Auge nun mal mehr als die Blümchen auf der Tapete. Und weil ich das elende Geplapper sowieso schon x-mal gehört habe, weiß ich auch ohne Ton, was da läuft, und erwische mich am nächsten Tag beim Staubsaugen dabei, wie ich plötzlich „der Joghurt mit der Ecke“ vor mich hin trällere. Nützt also alles nix. Man kommt nicht daran vorbei – es sei denn, man schafft den Fernseher ab.
Folglich hänge ich – je nach Tagesform – im Zustand von „leicht gelangweilt“ bis „reichlich genervt“ in meiner Sofaecke und lasse die immer gleiche, abgestandene Werbesuppe notgedrungen über mich ergehen.
Bei manchen Spots frage ich mich voller Entsetzen, ob die Auftraggeber tatsächlich Geld dafür bezahlt haben … und wer in der Firma die Ausstrahlung abgesegnet hat … und warum er noch nicht gefeuert wurde …
Manchmal gelingt es den Werbetreibenden aber auch, mir ein Grinsen zu entlocken – wie jenem weltbekannten Süßwarenhersteller, der zur Weihnachtszeit die durchaus nachdenklich stimmende Frage stellte: „Was wäre Weihnachten ohne Kinder?“ Die Antwort ist einfach: billiger!
Neulich aber wurde ich vom Werbespot eines bekannten Molkereibetriebs abrupt aus meiner Lethargie gerissen. Ich gestehe, diese Firma strapaziert meine Geduld seit Jahrzehnten auf das Ärgste, so sehr, dass ich mittlerweile ihre Produkte boykottiere. Nein, ich gebe denen kein Geld mehr, damit sie weiterhin ihr nervtötendes Gedudel produzieren können.
Es begann mit dieser Göre, die immer Mamas Joghurt aus dem Kühlschrank klaute und dann lautstark „Fruchtalarm“ in mein Wohnzimmer plärrte. Am Anfang fand ich die Kleine ja noch putzig, aber nach zwanzig Spots am selben Abend wollte ich das Balg am liebsten im Wald aussetzen.
Dann kamen die muhenden Milchflaschen. Ich mag sowieso keine Milch und seit dem schon gar nicht mehr. Ist es eigentlich Bedingung, dass man als Schauspieler besonders dusselig aus der Wäsche gucken können muss, um für diese Werbespots gecastet zu werden?
Als Nächstes überraschten mich die Milchverarbeiter mit ihrem neuesten Ecken-Joghurt. Ein Rudel Jägersleut‘, begleitet von einem niedlichen kleinen Mädchen im trachtengrünen Lodenumhang, steht im Wald herum und löffelt Joghurt mit „Kracher Breakern“ drin, vermutlich ein Synonym für Frühstückscerealien. Und die Dinger krachen so laut, dass all die unschuldigen Tiere des Waldes zu Tode erschrocken die Flucht ergreifen. Oha!
Preisfrage: Warum sollte ich als umweltbewusster Verbraucher das Zeug jetzt kaufen? Was stimmt hier nicht?
Seit sich nach meinem Gefühl ganz Deutschland dem Tierschutz verschrieben hat, was ich als Besitzerin zweier hechelnder Fellträger absolut begrüße, genießen Jäger irgendwie keinen guten Ruf mehr, sind also für die Vermittlung positiver Botschaften eher ungeeignet.
Außerdem ist der deutsche Wald ein Quell von Ruhe und Frieden. Da macht man keinen Krach und scheucht harmlose Rehe auf. Das gehört sich einfach nicht. So hat mir das jedenfalls mein Papa beigebracht.
Und drittens: Was passiert eigentlich mit dem Plastikbecher, wenn ihr den ausgeschlabbert habt? Ich hoffe sehr, ihr packt ihn ordentlich in euren Rucksack und entsorgt ihn zuhause in der Wertstofftonne. Wald und Plastik, das passt für mich nicht zusammen.
Ich dachte, schlimmer geht’s nimmer, aber ich hab mich mal wieder geirrt. Inzwischen gibt es nämlich schon wieder neuen Ecken-Joghurt und diesmal ist Mumbai drin!
Wie bitte?!
Wer mich kennt, weiß, dass ich beim Stichwort Mumbai sofort hellwach und neugierig werde. Die dazugehörigen bewegten Bilder untermauern auch gleich kräftig das Klischee vom ständig tanzenden, in bunte Clownskostüme gekleideten, leicht vertrottelten Inder. Na gut, sehen wir mal großzügig darüber hinweg. Europa weiß es nicht besser. Aber die hübsche Lady im bunten Wickelgewand fühlt sich jetzt ganz „Mumbai“, sagt sie, während sie ihren Joghurt löffelt. Herrje, die Ärmste! Wie fühlt sich das wohl an?
Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich war nämlich schon da. Nimm’s mir nicht übel, Mumbai. Du weißt, ich liebe dich, aber du bist ein Moloch, eine Mega-City mit 18 Millionen Einwohnern, heiß, laut, chaotisch, überfüllt und schmutzig und all das möchte ich ganz bestimmt nicht im meinem Joghurt haben. Auch nicht Sao Paulo, Peking oder New York. Nicht mal Frankfurt oder Berlin.
Nein, es ist natürlich nicht wirklich Mumbai drin, sondern Mango und Papaya. Ah! Gut, dass die Milchmixer es erwähnen. Darauf wäre ich jetzt im ersten Anlauf nicht gekommen. Indien assoziiere ich zunächst mal mit Tee, Curry und Kashmir-Teppichen, vielleicht auch noch mit Reis, Baumwolle und Computerprogrammen. Natürlich gibt es Mango-Plantagen in Indien, vielleicht sogar am Stadtrand von Mumbai, aber das ist nichts Besonderes.
Der Mangobaum, lerne ich bei Wikipedia, stammt vermutlich von der Insel Borneo. Von dort hat er sich im Laufe der Zeit über ganz Südasien ausgebreitet und wächst grundsätzlich überall, wo tropisches Klima herrscht. Weltweiter Hauptexporteur dieser tropischen Frucht ist allerdings nicht etwa Indien oder ein anderes asiatisches Land … nein! Es ist Mexico! Wer hätte das gedacht? Und was ist mit der Papaya? Nun, die wird in Indien zwar auch angepflanzt, hat ihren Ursprung aber in Mittelamerika. Was also hat das mit Mumbai zu tun?
Es gibt auch noch die Sorten „Venezia“, „Sevilla“ und „Bora Bora“, erfahre ich am Schluss des Werbespots.
Ja, Venezia! Bella Italia! Das klingt nach Eiscafé, nach Stracciatella und Cappuccino, lecker! Sevilla liegt in Spanien, dem Land, wo die Zitronen blühen. Also dürfte da vermutlich irgendein Orangen-Zitronen-Mix in der Ecke sein. Auch okay.
Und Bora Bora! Ein kleines Atoll im Pazifik, weißer Strand, knallblauer Himmel, türkisfarbenes, kristallklares Wasser und Kokospalmen. Ich mag Kokosraspel. Das alles weckt positive Assoziationen. Das macht Sinn!
Warum zum Teufel dann Mumbai? Ich habe lange nachgedacht und die wahrscheinlichste Erklärung lautet für mich: Die haben in der Werbeagentur einfach keinen besseren Reim gefunden.
Ich hätte da eine Idee, wie man das Ganze noch glattbügeln könnte. Liebe Milchmacher: Gebt doch einfach noch ein Schnitzchen Ananas in die Mango-Papaya-Sauce und nennt die Kreation „Hawaii“. Zugegeben, das ist nicht sehr originell, aber es reimt sich wenigstens auf „Mumbai“. Dann müsstet ihr den Songtext nur ganz minimal ändern. Euren Tanzmäusen zieht ihr die Möchtegern-Saris aus und kleidet sie in Baströckchen und Blumenketten. Dann passt es einigermaßen und ich kann mich beruhigt auf meinem Sofa zurücklehnen.
Nein, halt! Schon wieder Werbung! Na schön, dann hole ich mir jetzt einen Joghurt – ohne Ecke.