Seit Tagen quäkte es vor meinem Fenster: Mau! Mau! Zuerst glaubte ich an ein Baby. Allerdings quäken die normalerweise nicht dauerhaft im Sekundentakt. Irgendwann gehen sie zum Schreien über.
Ich überlegte, ob vielleicht ein Krähenmann eine Fremdsprache gelernt hatte, um sein Weibchen zu beeindrucken. Die Krähenhorde, die bei uns in den Bäumen haust, gibt die komischsten Töne von sich. Eine konnte sogar ein klingelndes Telefon imitieren.
Am Montagabend, dem 26. Juni 2023 löste sich das Rätsel. Unter meinem Auto saß eine Katze, sehr klein und offensichtlich sehr jung. Vermutlich hatte sie sich diesen Platz ausgesucht, weil man sich da gut verstecken konnte. Als ich sie lockte, kam sie nach kurzem Zögern heraus, schnupperte an meiner Hand und miaute zum Steinerweichen. Es war eindeutig, dass sie Hilfe suchte … und etwas zu essen.
Ich habe einen Hund und dementsprechend Hundefutter zur Hand – das gute, zu hundert Prozent getreidefreie. Zumindest behaupten sie das auf dem Etikett. Klar, Hundefutter mag nicht optimal sein für ein Kätzchen, aber in der Not frisst der Teufel ja bekanntlich Fliegen – und die Katze vielleicht auch Hundefutter.
Nicht nur vielleicht. In der Tat verputzte sie mehrere Esslöffel in Nullkommanichts – was meinen Verdacht erhärtete, dass sie seit Tagen mit leerem Magen unterwegs war und noch zu klein, um sich ihr Essen selbst zu fangen. Dann setzte sie sich vor meine Terrassentür und ihr Blick sagte deutlich: „Nimm mich mit rein.“
Ähm … leider nein, denn wie gesagt: Ich habe einen Hund. Er mag es tolerieren, wenn ich sein Futter verschenke, aber eine Katze in seiner Wohnung und wenn auch nur als Übernachtungsgast – niemals! Tja, was jetzt?
Schließlich kam mir die scheinbar rettende Idee. Ich erfragte die Nummer der Tierrettung Magdeburg bei Tante Google und rief dort an. Die kümmern sich ja um solche Fälle, zumindest laut Aussage auf ihrer Webseite.
„Ja, wie groß ist denn die Katze?“, fragte der Mann am anderen Ende unlustig. Upps! Leider hatte ich keinen Zollstock zur Hand und selbst wenn, hätte sich der kleine Tiger sicher nicht kampflos von mir vermessen lassen. Klein auf jeden Fall, jung, ein Katzenkind oder ein Katzen-Teenager. Ich habe keine Ahnung, in welchem Alter Katzen wie groß sind. Ich kann nur Hund.
„Ist denn da irgendwo eine Katzenmutter in der Nähe?“, lautete die nächste Frage und ich gebe zu, die überforderte mich. Bei uns in der Kaserne laufen mehrere Katzen herum. Soll ich jetzt jede von ihnen fragen, ob sie zufällig gerade Mutter ist? Oder andersherum: Würde die kleine Miez kläglich miauend auf meiner Terrassenstufe sitzen, wenn ihre Mutter in der Nähe wäre?
„Tja“, sagte der Tierretter. „Wenn wir die jetzt holen, dann kommt die ins Tierheim.“ Richtig, das hatte ich gehofft, denn da hatte sie immerhin ein Dach über dem Kopf und einen gefüllten Futternapf vor dem Näschen. „Aber wenn der Besitzer sich dann meldet, dann muss der nämlich eine Gebühr bezahlen …“
Ach ja? Ist das vielleicht mein Problem? Dann soll doch der Besitzer bitte auf sein Tierchen aufpassen. An der Stelle schwoll mir langsam der Kamm. Ich erklärte ihm noch mal, dass es sich um eine Babykatze handelte, die ganz offensichtlich menschliche Hilfe suchte … weil sie nämlich mein Hundefutter aufgefressen hatte wie nichts.
„Was fällt Ihnen denn ein?“, schnauzte der Mann mich an. „Das ist eine ganz normale Streunerkatze und wenn Sie keine Katze haben wollen, dann dürfen Sie die auch nicht anfüttern. Sonst kommt die nämlich immer wieder zu Ihnen. Und überhaupt: Sie können der doch nicht einfach Hundefutter geben? Was, wenn sie das nicht verträgt und einen allergischen Schock kriegt? Dann sind Sie nämlich schuld, wenn die stirbt.“
Und noch mal Ach! Auf einmal sorgte er sich um Miezes Wohlergehen? Nun reichte es mir. Ich wollte helfen und musste mich dafür auch noch anpöbeln lassen? Ich entschuldigte mich in aller Form, weil ich angerufen und ihn gestört hatte, und versicherte, dass ich es nie wieder tun würde. Danke fürs Gespräch.
Später traf ich ein junges Paar aus meinem Haus, das Miez inzwischen auch entdeckt hatte. Der Mann versuchte ebenfalls sein Glück bei der Tierrettung und wurde ebenso abgewimmelt wie ich. Katzen gelten in Deutschland als Wildtiere, lautete die Auskunft. Daher solle man sie am besten an Ort und Stelle belassen. Es sei denn, sie seien verletzt. War die Katze verletzt? Nein, augenscheinlich nicht. Sie hatte nur grässlichen Hunger und suchte ein geschütztes Plätzchen für die Nacht. Tja, dann könnten sie leider nichts tun, verkündeten die sogenannten Tierretter. Wenn sie morgen früh immer noch da sei, würden sie kommen und sie holen. Aha!
Moment! Ich bin doch in Deutschland, oder? Wir schützen doch alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist: die Vögel, die Bienen, den Baum natürlich auch, die Wale und das Great Barrier Reef. Wir kümmern uns darum, dass jeder Eisbär seine eigene Eisscholle bekommt, und wegen des Tierschutzes haben wir die Elefanten aus dem Zirkus verbannt. Wir sorgen uns um den sibirischen Tiger und um die Braunbären in Rumänien. Wir fliegen sogar Straßenhunde aus Moldawien ein, aber ein kleines einheimisches Katzenkind muss selbst zusehen, wie es überlebt.
Ich verbrachte eine schlaflose Nacht und hörte tatsächlich am nächsten Vormittag das vertraute Quäken. Eine nette Nachbarin spendierte Miez ein Döschen Welpenfutter und eine Schale Wasser. Von dem Futter fraß die Kleine allerdings nur ein paar Häppchen und verzog dann angewidert die Schnurrhaare. Meins mochte sie lieber.
„Ich würde ja das Tierheim anrufen“, sagte die Nachbarin, während sie in ihr Auto stieg. „Aber ich muss jetzt los und die machen erst um 13:00 Uhr auf.“ Nun, das konnte ich ja übernehmen. Ich besorgte mir wieder die entsprechenden Infos bei Tante Google und legte mein Handy schussbereit auf meinen Schreibtisch. Sobald Miez wieder auftauchte – so mein Plan – würde ich anrufen und diesmal würde ich mich um keinen Preis abwimmeln lassen.
Miez musste geahnt haben, was ich vorhatte, denn sie ließ sich den ganzen Nachmittag lang nicht blicken. Erst gegen 18:30 Uhr – eine halbe Stunde, nachdem das Tierheim seine Pforten wieder geschlossen hatte – erschien sie auf der Bildfläche und miaute diesmal meine Nachbarin von ganz oben an.
„Ich beobachte die auch schon seit Tagen“, sagte sie. „Die hat doch garantiert jemand ausgesetzt.“ Ich berichtete nun von meinen Erfahrungen mit den Tierrettern und dann überlegten wir, wie wir nun am besten verfahren sollten. Sollten wir Nachbarn uns zusammentun und Miez gemeinsam großziehen? Aber irgendwann musste die Kleine letztendlich eingefangen und kastriert werden, sonst gab es bald noch mehr hungrige Babykatzen in der Kaserne …
Schließlich lösten sich alle Fragen auf erfreuliche Weise. Es fanden sich andere nette Nachbarn, die bereit waren, Miez zu adoptieren. Es gefiel ihr zwar nicht, dass sie den Weg in ihr neues Zuhause in meinem Fahrradkorb zurücklegen sollte, aber letztendlich schafften wir es, sie zu überreden. Mittlerweile hat sie sich etwas eingelebt und laut Hörensagen dem Sofa auch schon ein neues „Design“ verpasst.
Liebe Tierretter und liebe Stadt Magdeburg: Wenn Sie auf Ihren Webseiten eine Dienstleistung anbieten, dann sollte auch ein Dienst oder eine Leistung dahinterstehen. Deswegen heißt das nämlich so. Falls es sich aber bei dem Begriff „Tierrettung“ nur um ein hübsches Wort handeln sollte, schalten Sie in Zukunft doch lieber den Anrufbeantworter ein.