Jagd auf Blauer Transporter

Eigentlich hatte ich mir geschworen, nichts mehr bei Amazon zu bestellen – aus verschiedenen Gründen, die ich hier nicht weiter ausführen will.

Fakt ist aber nun mal, dass man bestimmte Dinge einfach nirgendwo sonst bekommt, zum Beispiel ein Vogelfutterhäuschen aus Plexiglas und einen äußerst intelligent gestalteten Meisenknödelhalter. Also bestellte ich zähneknirschend bei dem Versandhandel mit den blauen Autos.

Auf meine Bestellung folgten diverse Mails mit dem üblichen Blabla: „Danke für deine Bestellung“, „voraussichtliche Lieferung am …“ und so weiter. Am Mittwoch, dem 27. März 2024 flatterte dann die Mitteilung „Deine Lieferung wird zugestellt.“ in mein Postfach. Aha, gut zu wissen. Wann? „Im Laufe des Tages.“ Hm, geht es vielleicht etwas präziser?

An dem bewussten Mittwoch musste ich an einer Theaterprobe teilnehmen, die allerdings erst um 19 Uhr begann. Somit wähnte ich mich auf der sicheren Seite. Bis dahin, dachte ich mir, werden sie’s ja wohl geschafft haben.

Bis 18 Uhr hatten sie es noch nicht geschafft. Also setzte ich mich grummelnd in mein Auto und begab mich zu meinem Termin. Die Zeit für die Anfahrt war zwar großzügig bemessen, aber ich wollte mir unterwegs beim Discounter noch ein Brötchen und ein Kaltgetränk besorgen und außerdem nicht auf den letzten Drücker dort aufschlagen. Ich komme ungern zu spät.

Die Probe begann pünktlich um 19:00 Uhr. Exakt um 19:12 dudelte mein Handy, was mir sofort die missbilligende Aufmerksamkeit des gesamten Ensembles einbrachte. Natürlich, während der Probe sollten die Handys lautlos sein. Wusste ich doch. Hatte ich nur leider vergessen, weil mich normalerweise kein Schwein um diese Zeit anruft.

Ich rupfte mit fliegenden Fingern mein Handy aus der Tasche, wollte den Anrufer wegdrücken, wischte aber in die falsche Richtung und prompt schallte es „Hello? Hello?“ an mein Ohr. Also stolperte ich mit dem Ding schleunigst nach draußen. (Anm.: Diese dreiste Handlung brachte mir ein paar Wochen später den Rausschmiss aus der Truppe ein, aber das ist eine andere Geschichte.)

„Hier ist Amazon“, erfuhr ich. „Can we speak English please?”

Die Frage überraschte mich nicht wirklich. Ich musste schon öfter auf Englisch mit Amazon-Fahrern diskutieren, aber nur mal so fürs Protokoll: Du befindest dich hier in Deutschland, mein Gutster, und hier we speak normalerweise German.

Na schön, der Junge gab sich wenigstens Mühe, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Es ist Sache des Arbeitgebers, welche Qualitätsstandards er bei der Auswahl seiner Mitarbeiter ansetzt. Bei Amazon scheinen sie nicht besonders hoch zu sein, denn die Jungs fahren auch schon mal Zäune um und hauen dann einfach ab.

We spoke also English. Wo er jetzt das Paket lassen solle? Ich sagte ihm, er möge es mal bei meiner netten Nachbarin Frau G. versuchen oder bei meinem netten Nachbarn Herrn L., für den ich vor ein paar Tagen erst den sauschweren Katzenbaum in mein Wohnzimmer gezerrt hatte.

Ob ich den Namen buchstabieren könne? Na klar, L wie Ludwig … ähm. In dem Moment fiel mir ein, dass ich im englischen Sprachraum nicht einfach mit deutscher Buchstabiererei daherkommen konnte. Wie ging noch mal das internationale Alphabet?

Früher als Kind, als ich noch regelmäßig „Flipper“ und „Daktari“ geguckt hatte, konnte ich das auswendig. Jetzt fiel mir nur noch Charlie, Delta, Foxtrott und Tango ein. Leider trägt Herr L. nichts von alldem in seinem Namen.

Also buchstabierte ich ohne die Anhänge und er klingelte. Wie erwartet, tat sich nichts. Mich beschlich der Gedanke, dass der Junge vielleicht auch das Lesen auf Deutsch nicht wirklich gut beherrschte … nur so ein Gedanke.

Ob er das Päckchen nicht einfach in den Hausflur legen könne? Nein! Definitiv nein! Die Erfahrungen – vor allem die meiner Nachbarn – lehrten uns nämlich in der Vergangenheit, dass sogar Pakete, für die man eigentlich eine Sackkarre brauchte, plötzlich Beine bekamen, wenn sie länger als eine halbe Stunde unbeaufsichtigt im Hausflur standen.

Gegenfrage meinerseits: Ob er das Päckchen nicht in der nächstgelegenen Packstation deponieren könne? Nein, dazu müsse ich Amazon kontaktieren. Aha.

Nächste Gegenfrage meinerseits: Ob er das Päckchen vielleicht am Samstag liefern könne? Nein, dazu müsse ich Amazon kontaktieren.

Er werde einfach morgen wiederkommen. Tja, das war zwar nett gemeint, half aber nichts, weil ich morgen den gesamten Tag außer Haus sein würde und nicht nur ein Viertel des Tages. Ich schnaufte genervt.

„Sorry, Madam, I am only the driver.” Ja, ja, schon gut. Also verabschiedeten wir uns, ich mit dem unbefriedigenden Gefühl, dass mein Futterhäuschen nun weiterhin sinnlos durch die Gegend fuhr.

Wieder zu Hause angekommen, versuchte ich, mein Päckchen über die Amazon-Webseite auf einen anderen Tag zu verlegen oder an meine Tochter umzuleiten. Das mit dem anderen Tag funktionierte überhaupt nicht. Für das Umleiten musste ich zunächst die Adresse meiner Tochter neu anlegen und dann auf einen entsprechenden Button drücken. Eine Bestätigung erhielt ich dazu nicht, irgendwas wie: „Okay, ham wir kapiert, wird gemacht.“ Die Zweifel, dass das funktionieren würde, nagten weiterhin an mir.

Am nächsten Tag machte ich mich morgens um 10:00 Uhr auf den Weg nach Westdeutschland, um mit meiner Mutter Ostereinkäufe zu erledigen. So etwas dauert in der Regel. Daher konnte ich mich erst gegen 17:00 Uhr auf den Heimweg begeben. Mein Handy steckte in seiner Halterung an der Windschutzscheibe, damit Tante Google mir helfen konnte, die diversen Staus auf der A2 rechtzeitig zu erahnen und zu umfahren – was sich auch als äußerst hilfreich erwies.

Um 18:17 Uhr würde ich zu Hause sein, versprach Tantchen. Um 18:15 Uhr fuhr ich soeben am Magdeburger Westfriedhof entlang, als mein Handy bimmelte und eine Nummer im Display erschien – dieselbe Nummer wie gestern. Ey, das war so was von klar!

„Möchtest du den Anruf annehmen?“, fragte mein Telefon.
„Nein!“, schrie ich wütend. Wozu denn, wenn der Typ jetzt schon wieder vor meiner Haustür stand anstatt vor der meiner Tochter?

Mein Telefon verstummte beleidigt. Dafür fing es in meinem Kopf an zu arbeiten. Moment mal, ich war jetzt wie viele Meter von meiner Haustür entfernt? Vielleicht hatte der Fahrer ja noch mehr Päckchen in der Kaserne zu liefern. Die Enckekaserne zu Magdeburg, in der ich wohne, ist schließlich ganz schön groß. Vielleicht … wenn ich Glück hatte …

Ich gab Gas und fuhr vorsichtshalber gleich in die erste Einfahrt hinein. Eigentlich ist ja Schrittgeschwindigkeit auf dem Gelände vorgeschrieben, aber darauf konnte ich in diesem Moment keine Rücksicht nehmen. Nach einer haarsträubenden Kurverei um diverse Ecken entdeckte ich tatsächlich den blauen Transporter – da vorn in etwa 150 Metern Entfernung!

„Los, fass!“, sagte ich zu meinem Herbie und schaltete in den dritten Gang. Eine Frau lief am Straßenrand entlang und ich hoffte beiläufig, dass sie nicht ausgerechnet jetzt die Straßenseite wechseln wollte. Entschuldigung, lassen Sie mich bitte durch. Ich bin auf der Jagd nach Amazon.

Drei Sekunden später stand ich hinter dem Auto und just in dem Moment fuhr er los. Moment, mein Freund, so haben wir nicht gewettet! Ohne zu zögern, hängte ich mich an seine Fersen … ähm, Rücklichter. Er fuhr zum Tor hinaus, bog links ab und musste an der roten Ampel warten. Sehr gut. Ich baute mich hinter ihm auf und wartete gespannt, in welche Richtung er sich jetzt wenden würde – wild entschlossen, ihn notfalls durch die halbe Stadt zu verfolgen.

Zuerst blinkte er gar nicht. Dann blinkte er rechts, dann links. Dann ging die Warnblinkanlage an. Offensichtlich wusste der Mann selbst nicht, wohin er nun eigentlich wollte, und mit den vielen Knöpfchen in seinem Cockpit kannte er sich wohl auch nicht aus. Schlussendlich sollte es dann aber doch links sein. Also bog auch ich links ab. Etwa hundert Meter weiter fuhr er auf einen Parkplatz hinter einer Häuserzeile. Ich folgte ihm unbeirrt, bis er schließlich vor einem Hauseingang anhielt. Ha! Gotcha!

Zuerst war der junge Mann etwas erschrocken, als ich auf ihn zustürmte und mein Päckchen einforderte. Dann aber schien er doch ganz glücklich, dass er es loswerden durfte.

Gut gelaunt kehrte ich heim zu meiner Basis und ließ mich mit meinem Handy auf dem Sofa nieder, um nach dem langen Tag ein bisschen zu chillen. In meinem Postfach fand ich eine Mail von GLS vor, in der sie mir mitteilten, dass sie mir das zu meinem Futterhäuschen gehörende Vogelfutter am Dienstag, dem 2. April liefern wollten, und zwar in der Zeit zwischen 12 und 14 Uhr.

Na, das war doch mal eine Ansage. Da wusste man wenigstens, wann man gefahrlos duschen konnte. Leider würde ich aber auch an dem bewussten Dienstag nicht zu Hause sein – und zwar so gar nicht.

Also klickte ich auf den Button „Sendung verfolgen“. Ach, sieh an! Da hatte ich doch tatsächlich verschiedene Wahlmöglichkeiten, zum Beispiel die Option „Lieferung an einem anderen Tag“. Ich wählte „Donnerstag, den 4. April“ aus und drückte auf „Bestätigen“. Fünf Minuten später lag eine Mail in meinem Postkasten: „Geht klar.“ Sehr gut! Läuft offenbar bei GLS.

Übrigens: Das nennt man Service, liebe Amazonier.

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