Grüße aus Behördistan

Dreimal umgezogen ist so schlimm wie einmal abgebrannt, sagt der Volksmund. Nun bin ich schon öfter als dreimal umgezogen und noch nie abgebrannt. Deshalb wagte ich es im März 2021 mutig ein achtes Mal, allerdings nur von der Hausnummer 17a in die Hausnummer 8. Ansonsten änderte sich nichts: immer noch dieselbe Straße, dieselbe Stadt, dasselbe Land, derselbe Planet. Keine große Sache also, dachte ich.

Von wegen: Ich habe damit einen Verwaltungsakt ausgelöst!

Und damit meine ich nicht die Ummeldung beim Ordnungsamt. Solche profanen Sachen sind ja im Handumdrehen erledigt. Nein, ich spreche von der

Registerdatenbank LUCID der Zentralen Stelle Verpackungsregister.

Wat für‘n Ding, fragt ihr? Eine gute und berechtigte Frage. Für die Antwort muss ich leider etwas ausholen:

Ich vertrieb meine ersten Bücher im Selfpublisher-Verfahren, unter anderem über den Shop auf meiner Webseite. Für den Druck beauftragte ich eine Druckerei und weil ich verhindern wollte, dass die frisch gedruckten Bücher einstauben oder vergilben, während sie bei mir auf ihre neuen Besitzer warten, ließ ich sie in Folie einschweißen. Wenn dann jemand ein Exemplar käuflich erwarb, steckte ich das Gewünschte in einen Pappkarton, klebte Adresse und Porto drauf und trug es zur Post. Auf diese Art brachte ich pro Jahr etwa 250 Gramm Folie und ein Kilo Pappe in den Verkehr.

Damit galt ich als „Hersteller“ von Verpackungen nach dem Verpackungsgesetz (VerpackG) und war als solcher verpflichtet, mich in Lucifers Datenbank … Verzeihung, in der Registerdatenbank LUCID zu registrieren.

Rein theoretisch hätte ich das natürlich umgehen können, indem ich a) die Folie weggelassen und b) jedes bestellte Exemplar persönlich – ohne Karton – an die Kunden ausgeliefert hätte. In der Praxis wäre das allerdings etwas umständlich gewesen und weil mich der Spaß weniger als zehn Euro pro Jahr kostete, lächelte ich müde über den deutschen Amtsschimmel und ging zur Tagesordnung über.

Dass ich tatsächlich noch Spaß haben würde für mein Geld, ahnte ich allerdings nicht, als ich am 26.03.2021 der LUCY – oder wie das Ding gleich noch heißt – meine neue Adresse mitteilte. Im Anschluss daran flatterte nämlich um 09:57 Uhr Ortszeit folgende bedeutungsschwere E-Mail in mein Postfach:


Bescheid über die Änderung von Registrierungsdaten nach § 9 Absatz 2 Nummer 1 und 3 VerpackG


Huch, ein Bescheid! Und fettgedruckt! Nicht einfach nur eine schnöde Mitteilung: „Ok, ham wir kapiert. Danke und tschüss.“ Nein, ein Bescheid!



Oh Gott! Da schreit das Lektorinnenhirn gequält auf. Bitte nicht „welche“! Ich weiß, Sie halten das für gehobenes Deutsch, liebe Verwaltungsschaffende, aber das ist es nicht. Welche“ ist ein Fragewort – so hieß das damals in der Grundschule – und dient zur Unterscheidung zweier Dinge: „Welche Hose möchtest du anziehen, die schwarze oder die blaue?“ Da ist es richtig. Da gehört es hin. Hier ist es einfach nur blöd und falsch. Also weiter:


welche die Sie am 26.03.2021 über die Registerdatenbank LUCID der Zentralen Stelle Verpackungsregister übermittelt haben. Ihre Änderungsmitteilung wurde verarbeitet.


Sehr gut, das beruhigt mich schon mal.


Es ergeht der in der Anlage enthaltene Bescheid.


Heiliger Strohsack, es gibt eine extra Anlage und in der ergeht irgendwas! Was zum Teufel …? Ich gestehe, an der Stelle wurde ich etwas nervös.


Bitte antworten Sie nicht an die Absenderadresse dieser E-Mail, wir nutzen diese …


Na klar, und zwar so was von. Wer „welche“ schreibt, muss nämlich auch „diese“ schreiben. Das scheint ein Naturgesetz zu sein. Nein! Für „diese“ gilt dasselbe wie für „welche“. „Diese“ ist ein hinweisgebender Artikel und dient ebenfalls zur Unterscheidung zweier Dinge: „Ich möchte diese Hose anziehen, denn jene passt nicht zu meinem Shirt.“ So macht es Sinn, aber das da oben ist einfach nur Unsinn. Also setzen wir den Rotstift an und machen weiter:



Okay, bis hierher schien ja alles noch harmlos. Trotzdem zögerte ich einen Moment, bevor ich den Anhang öffnete, welchselbiger wie folgt lautete:


Bescheid über die Änderung von Registrierungsdaten nach § 9 Absatz 2 Nummer 1 und 3 VerpackG


Gut, das hatten wir ja schon.


Die Registrierung von Petra Schirmer als Hersteller von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen …


Und schon schreit die Lektorin erneut auf. Warum? Weil hier mal wieder der arme Genitiv, der sowieso zu den unterdrückten Minderheiten im deutschen Sprachraum gehört, hinterrücks von einem dicken „VON“ erschlagen wurde. Sehr beliebt in diesem Zusammenhang ist auch das Wörtchen „AN“. Beide springen immer dann in die Bresche, wenn sich der Urheber des Textes nicht an den Genitiv herantraut. Beispiel: „Wir bieten eine große Vielfalt an attraktiven Modellen.“ Nein, ein stilistisches Bäh. „… eine Vielfalt attraktiver Modelle“ muss es heißen. Wenn Sie also gestatten, richte ich das mal kurz, liebe Amtsinhabende:


Die Registrierung der Petra Schirmer als Hersteller systembeteiligungspflichtiger Verpackungen unter der Registrierungsnummer XXX wird hinsichtlich der in der Anlage aufgeführten Angaben geändert. Mit Wirkung vom 26.03.2021 ist Petra Schirmer mit diesen geänderten Registrierungsdaten unter der Registrierungsnummer XXX registriert.


Puh, das klingt wie: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil.“, als wäre ich gerade noch mal davongekommen.


Gründe:


Wie bitte, gleich mehrere? Leute, ich bin einfach nur umgezogen!


Petra Schirmer teilte am 26.03.2021 bei der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister (Zentrale Stelle) in Bezug auf die in der Anlage aufgeführten Herstellerdaten eine Änderung seiner Registrierungsdaten mit, § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Nummer 1 und 3 des Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und hochwertige Verwertung von Verpackungen (Verpackungsgesetz – VerpackG). Der Hersteller gab in seinem Antrag …


Moment! Stopp! Einspruch! Wenn wir schon dermaßen hoch oben auf dem Amtsschimmel sitzen, erlaube ich mir tunlichst mit allem mir zur Verfügung stehenden Nachdruck darauf hinzuweisen, dass ich „die Herstellerin“ bin, die in „ihrem“ Antrag irgendwas an- oder abgab.


… die Erklärung ab, dass die in der Anlage aufgeführten Angaben der Wahrheit entsprechen, § 9 Absatz 2 Nummer 6 VerpackG.


Jawohl, ich schwöre hiermit auf alle heiligen Bücher dieser Welt, dass ich umgezogen bin. Das ist die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir sämtliche Götter helfen mögen, die dafür infrage kommen. Amen.


Die Zentrale Stelle ist zur Entscheidung über den Registrierungsantrag zuständig, § 26 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 Nummer 1 VerpackG.


Das beruhigt mich einerseits, denn dann habe ich ja offensichtlich alles richtig gemacht. Andererseits: Was ist das schon wieder für ein Deutsch? Man ist nicht „zur Entscheidung zuständig“, sondern höchstens „für die Entscheidung zuständig“ oder „zur Entscheidung berechtigt“.



„Durch diesen Bescheid …“, nur so nebenbei bemerkt. Na, Gott sei Dank! Ich muss also nicht das Tafelsilber meiner Oma verscherbeln oder meinen Kanarienvogel verpfänden.


Rechtsbehelfsbelehrung


Ah, jetzt wird es interessant!


Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister … [usw. … blabla] … erhoben werden. Die Frist wird auch durch Einlegung des Widerspruchs bei der Widerspruchsbehörde (Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau) gewahrt.


Ich gestehe, an dieser Stelle geriet ich ernsthaft in Versuchung. Ob das schon mal jemand probiert hat?


Allgemeine Hinweise: Ihr Unternehmen …


… im Wesentlichen bestehend aus einem Schreibtisch, einem Computer, einem Bücherregal und einer Leselampe …


… wird gemäß § 9 Absatz 4 Satz 1 VerpackG als registrierter Hersteller von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen mit den Angaben Unternehmensname, Anschrift und Kontaktdaten gemäß der Anlage zu diesem Bescheid, den Markennamen, der mit diesem Bescheid vergebenen Registrierungsnummer und dem Registrierungsdatum auf der Internetseite der Zentralen Stelle veröffentlicht. Ebenfalls veröffentlicht wird das Marktaustrittsdatum, bezogen auf Markennamen oder Ihr Unternehmen, soweit Sie es angegeben haben.


Komisch, plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, aus dem Markt auszutreten und mich auf die Fiji-Inseln unter eine Kokospalme zurückzuziehen.


Ihr Unternehmen ist nach § 9 Absatz 1 Satz 2 VerpackG verpflichtet, der Zentralen Stelle Änderungen der in der Anlage zu diesem Bescheid aufgeführten Registrierungsdaten sowie die dauerhafte Aufgabe der Herstellertätigkeit unverzüglich mitzuteilen.


„Unverzüglich“ heißt: ohne schuldhaftes Verzögern. Das habe ich vor gut vierzig Jahren schon in der Berufsschule gelernt und das bedeutet in der Konsequenz: Wenn mir mitten in der Mitteilung der Aufgabemitteilung der Computer abschmiert, ist das höhere Gewalt, somit kein schuldhaftes Verzögern und ich bin aus dem Schneider.


Änderungen Ihrer Registrierungsdaten zu den Kontaktdaten (E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Faxnummer, soweit angegeben), dem Verantwortlichen (Anrede, Akademischer Titel, soweit angegeben, Vorname, Nachname) und der Nationalen Kennnummer des Herstellers (HR/Gewerbeschein, ausstellende Behörde, Ausstellungsdatum, HR-Nr./Az. Gewerbeschein, soweit angegeben) werden Ihnen nach erfolgreicher Eingabe über die Benutzeroberfläche im Verpackungsregister LUCID bestätigt. Sie erhalten hierüber keine gesonderte Mitteilung.


Ach schade, ich hatte mich schon so gefreut, noch mehr von diesem hochinteressanten Zeug zu lesen.



Warum wiederholen Sie sich eigentlich ständig?


Wenn Ihr Unternehmen als Hersteller systembeteiligungspflichtiger Verpackungen nicht oder nicht ordnungsgemäß registriert ist, darf es und dürfen weitere Vertreiber die von Ihrem Unternehmen vertriebenen systembeteiligungspflichtigen Verpackungen nicht in Verkehr bringen. Die nicht richtige, nicht vollständige oder nicht rechtzeitige Registrierung/Mitteilung von Änderungen der Registrierungsangaben verwirklicht außerdem einen Bußgeldtatbestand.


Alter Schwede! Es ist schon erstaunlich, welche profanen Dinge in Deutschland einen Bußgeldtatbestand verwirklichen können, z. B. das Umziehen von einer Hausnummer in die andere und das nicht richtige, nicht vollständige oder nicht rechtzeitige Melden desselben. Was haben wir noch Schönes?



Ach kommen Sie, nun reden Sie sich doch nicht raus. Ihr ganzes Geschwurbel ist nicht mal ansatzweise gut lesbar und wird auch durch die maskuline Form nicht besser.


Weitere Informationen zu den Rechten und Pflichten nach dem VerpackG finden Sie unter https://www.verpackungsregister.org/.


Nein, danke, ich habe kein Verlangen nach weiteren Informationen. Ich bin restlos bedient.

Fazit: Falls ich nochmal umziehen will oder muss, dann am besten nur von einer Etage in die andere, um den deutschen Verwaltungsapparat nicht übermäßig zu strapazieren … oder ich wandere gleich aus.

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